Wie erinnert man sich an das Unfassbare? Wie spricht man darüber – 80 Jahre später, mit jungen Menschen, die das alles nur aus Schulbüchern kennen? Auf diese Fragen suchten 45 Schüler*innen und Lehrkräfte des Laurentius-Siemer-Gymnasiums im Saterland Antworten – und trafen am vergangenen Freitag in der ehemaligen Jüdischen Schule in Leer einen der letzten lebenden Zeugen der Shoah: Albrecht Weinberg.
Die Begegnung war sorgfältig vorbereitet. Über mehrere Wochen hatte die Redaktion des Schulpodcasts ECHT das Gespräch geplant, Fragen gesammelt, historische Kontexte und die Biographie von Albrecht Weinberg recherchiert. Und doch: Als Albrecht Weinberg den Raum betritt – 100 Jahre alt, aufrecht, hellwach – ist plötzlich alles ganz nah und die Nervosität groß. Doch mit seiner freundlichen und nahbaren Art gelingt es Weinberg sehr schnell, das Eis zu brechen. Mit klarer Stimme berichtet er, unterstützt von Gerda Dänekas, von seiner Kindheit in Ostfriesland, von der schleichenden Ausgrenzung, von der Pogromnacht, von der Deportation nach Auschwitz. „Wir haben keine Ahnung gehabt, was Auschwitz war“ – ein Satz, der zeigt, wie sehr sich das Grauen erst nach und nach erschloss.
Der erste Teil des Treffens gehört seiner Erzählung. Im zweiten Teil übernimmt die Redaktion: Die Schüler*innen stellen ihre vorbereiteten Fragen – nach dem Alltag im Lager, nach Momenten der Hoffnung und Menschlichkeit, nach Glauben, Vergebung und der Rückkehr nach Deutschland. Auch aktuelle Themen werden nicht ausgespart: Der Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023, die Situation im Nahen Osten, der wiedererstarkende Antisemitismus in Deutschland. „Niemand hat den Mut, einem Auschwitz-Überlebenden ins Gesicht zu sagen, dass man einen Schlussstrich ziehen muss“, sagt Albrecht Weinberg in diesem Zusammenhang. Und später, mit bitterer Klarheit: „Wenn es da oben über den Wolken einen Gott gibt, dann wäre Auschwitz nicht gewesen.“
Die Reaktionen der Schüler*innen sind tief bewegt – viele suchen anschließend das persönliche Gespräch, stellen noch persönliche Fragen, bedanken sich, bitten um ein gemeinsames Erinnerungsfoto. Die Redaktion überreicht Herrn Weinberg zum Abschied ein graviertes Keksglas mit selbstgebackenen amerikanischen Cookies – eine kleine Reminiszenz an die Jahre, die er nach seiner Auswanderung in New York verbrachte.
Das gesamte Gespräch wurde aufgezeichnet und ist in zwei Folgen auf echt-podcast.de abrufbar. In Folge 1 erzählt Albrecht Weinberg seine Lebensgeschichte – in Folge 2 ist das Interview mit den Schüler*innen zu hören. Zwei Dokumente gelebter Erinnerung – eindringlich, persönlich und politisch zugleich.
Hier geht es direkt zur Folge 1: Hier geht es direkt zur Folge 2: